Nach zwei Jahren wird evaluiert
Pilotprojekt in Kärnten: Menschen mit Behinderung bekommen „Lohn statt Taschengeld“
„Lohn statt Taschengeld“ – eine jahrzehntelange Forderung wird in Österreich erstmals Wirklichkeit. Und zwar mit dem Pilotprojekt „Reallabor“, das in Kärnten an den Start gegangen ist.
„Mit diesem Pilotprojekt setzen wir tatsächlich einen Meilenstein für Menschen mit Behinderung. Ich verwende den Begriff Meilenstein bewusst – denn das Reallabor macht erstmals Inklusion am ersten Arbeitsmarkt zur Realität“, erklärte heute, Donnerstag, Landesrätin Beate Prettner im Rahmen einer Pressekonferenz. Das Pilotprojekt wird vom Land Kärnten, Referat Chancengleichheit, und mit EU-Fördergeldern finanziert: „Die Kosten für das Land belaufen sich pro Jahr auf rund 550.000 Euro. Die EU-Förderung beträgt 370.000 Euro.“
Über „Reallabor“
Das „Reallabor“ wird vorerst für zwei Jahre und unter wissenschaftlicher Begleitung erprobt. Dann wird evaluiert. Unterstützt, begleitet und trainiert werden die Teilnehmer von der Lebenshilfe Kärnten. 47 Interessierte haben sich dafür beworben. Mit 20 Teilnehmenden wurde das Projekt gestartet. Mittlerweile wurden bereits Dienstverträge unterschrieben und alle Teilnehmenden haben ein eigens Bankkonto dafür eingerichtet.
Silke Ehrenbrandtner, Geschäftsführerin der Lebenshilfe Kärnten, gab Einblick in die aktuelle Lage: „In den ersten Wochen steht ganz viel ‚training on the job‘ auf dem Programm. Es geht um Pünktlichkeit, es geht um das Arbeiten im Team. Nach dieser Trainingsphase kommen die Teilnehmenden in unterschiedliche Betriebe, wo sie erstmals ihrer Arbeit vor Ort nachgehen werden.“ Eine „absolut positive und motivierende Überraschung“ für Ehrenbrandtner ist, dass sich bereits einige Betriebe von sich aus gemeldet haben und sich als Arbeitgeber anbieten. Die Teilnehmenden sind für je 19 Stunden pro Woche angestellt – und werden laut SWÖ-Kollektivvertrag bezahlt. Das sind aktuell rund 1.050 Euro brutto für besagte 19 Stunden.
Die 24-jährige Rebecca Samselnig ist eine der 20 Teilnehmenden. Für sie ist das Reallabor ein großer Schritt auf dem Weg „endlich eigenes Geld zu verdienen“, sagte sie in der Pressekonferenz. Wofür sie das Geld verwenden würde? „Mein Traum ist es, einmal gemeinsam mit einer Freundin eine eigene Wohnung zu haben und die schön einzurichten.“ Samselnig weiß, dass sie „noch viel lernen muss. Aber das schaffe ich sicher“, ist sie überzeugt.
Die Betroffenen haben die Möglichkeit, in Leistungen der Chancengleichheit zurückzukehren – für den Fall, dass es mit der Beschäftigung nicht so klappt, wie gewünscht und erhofft.
Silke Ehrenbrandtner, GF der Lebenshilfe Kärnten
Laut Sigrid Samm, Leiterin der Unterabteilung Chancengleichheit im Amt der Kärntner Landesregierung, sind in Österreich rund 25.000 Menschen mit Behinderung laut Einstufung der Pensionsversicherungsanstalt als „arbeitsunfähig“ registriert. Auch wenn manche von ihnen in Beschäftigungswerkstätten arbeiten, erhalten sie keinen Lohn, sondern ein Taschengeld. Sie sind auch nicht sozialversichert. „In Kärnten haben wir mittlerweile unterschiedliche Projekte im Laufen, mit denen wir mehr als 240 Betroffene in eine Beschäftigung gebracht haben; allerdings erhalten diese ihr Gehalt nach dem Kärntner Chancengleichheitsgesetz aus Geldmitteln des Landes und nicht vom ersten Arbeitsmarkt oder vom Bund, der kompetenzrechtlich für Arbeit und Beschäftigung von allen Menschen zuständig ist“, erläuterte Samm. Das Pilotprojekt Reallabor sei demnach der erste tatsächliche Schritt auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben mit selbstverdientem Geld.
- Online: 19.10.2023 - 10:26