Das VK24 Interview
Welt-Frühgeborenen-Tag: Diese kleine Füße erforschen in St. Kanzian die große Welt
Am 17. November findet jährlich der Welt-Frühgeborenen-Tag statt. Damit wird auf die Herausforderungen von Frühgeborenen und ihren Familien aufmerksam gemacht. Ein kleiner Kämpfer, der viel zu früh das Licht der Welt erblickte, ist Niklas aus der Gemeinde St. Kanzian. Seine Geschichte erzählt seine Mutter Karina.
Karina und Philipp sind seit 2016 ein Paar. Im Jahr 2018 und 2019 war Karina schwanger. Beide mussten jedoch harte Schicksalsschläge erleiden.
„Wir hatten eine Zeit, die man niemanden wünscht und über die man sich zuvor niemals Gedanken gemacht hat. Beide Schwangerschaften verliefen immer unauffällig. Unser erster Sohn Leon Gabriel kam in der 23. Schwangerschaftswoche auf die Welt und durfte nur eine Woche mit uns verbringen. Wir mussten ihn nach einer Operation zu den Sternen reisen lassen. Unser zweiter Sohn Tobias kam in der 21. Schwangerschaftswoche, ausgelöst durch einen vorzeitigen Blasensprung, still auf die Welt, denn die medizinisch lebensnotwendige Aufrechterhaltung des Lebens liegt ab der 23. Schwangerschaftswoche. Beide Kinder wurden natürlich notgetauft und bei dem Familiengrab meines Opas beigesetzt. Bis zu diesem Zeitpunkt haben wir uns mit meinem Partner nie über eine Grabstätte Gedanken gemacht. Ich bin meinem Opa, der leider inzwischen schon verstorben ist, sehr dankbar, dass er uns in dieser schwierigen Zeit dabei unterstützt hat“, erzählt Karina.
Von 0 auf 100 wird einem das Kostbarste auf der Welt wieder weggenommen und zusätzlich die ganze Lebensfreude und das Gefühl von Glück, dass man nie wieder richtig zurückbekommt.
Karina, Mutter von zwei Sternenkindern und einem Frühchen
Karina unterzog sich über mehrere Monate hinweg sehr speziellen Behandlungen, die mit schmerzhaften Eingriffen verbunden waren. Mit Erfolg…
September 2021: Die Strapazen haben sich gelohnt
Rund zwei Jahre später konnte bei Karina eine Schwangerschaft festgestellt werden. „Natürlich freut man sich sehr, aber diese Freude ist eben anders. Mit dem Hintergrundwissen geht man natürlich ganz anders damit um und ist viel vorsichtiger, vor allem weil man nicht weiß, was auf einen zu kommt und wie diese Schwangerschaft nun ablaufen wird. Aber durch die vorbeugenden Behandlungen hatte ich von Anfang an ein gutes Gefühl und versuchte so wenig wie möglich über die Vorschwangerschaften nachzudenken. Was für mich und meinen Partner aber von Anfang an klar war, dass wir sehr lange warten werden, bis wir es unserer Familien und unseren Freunden erzählen werden. Das war wie ein Schutzmechanismus“, denkt Karina zurück.
Ich bin mir sicher, dass während solcher Situationen einige Beziehungen in die Brüche gehen, weil es wirklich eine emotionale Last ist. Ich kann mit großem Glück sagen, dass es meinem Partner und mich noch mehr zusammengeschweißt hat und wir nie aufgehört haben, an Wunder zu glauben.
Jungmutter über den Tod ihrer beiden Kinder
Die Schwangerschaft: Willkommen du kleiner Kämpfer!
Neben kontinuierlicher Schwangerschaftsübelkeit bekam die werdende Mutter unterstützend einige Medikamente wie Hormone verabreicht. Zu den engmaschigen Kontrollen wurde eine Cerclage an ihr durchgeführt, die in der Schwangerschaft zur Unterstützung dienen sollte. Bettruhe und Schonung standen am Tagesplan. „Es war alles andere als zum Genießen und Wohlfühlen. Ich fühlte mich sehr oft alleine mit den ganzen Gedanken, hatte auch oft mit der Angst zu tun, dass wieder etwas passieren konnte. Nichts desto trotz versuchte ich immer sehr positiv zu bleiben, vor allem weil ich nur den einen Wunsch hatte, dass es meinem Bauchzwerg gut ging und wir ihn dann am Ende der Schwangerschaft gesund in den Armen halten können.“
Diese Zeit hätte ich nie ohne meinem Gynäkologen Dr. Lausegger überstanden und ich bin mir sicher, dass ohne sein Wissen, Engagement, seine mutmachenden Worte sowie seine Herzlichkeit, Niklas heute nicht bei uns wäre. Ich bin ihm von ganzem Herzen dankbar, dass ich die Begleitung von so einer Koryphäe hatte.
Karina, stolze Mutter von Niklas
Geburt: 2. Januar 2022 um 16:32 Uhr, Gewicht: 880 Gramm, Körperlänge: 35 Zentimeter
Trotz aller nur vorstellbaren Bemühungen erblickte ihr Bauchzwerg dreieinhalb Monate zu früh das Licht der Welt. „Zuerst denkt man nur, warum schon wieder, dann hofft und betet man nur, dass alles Gut gehen wird. Zumindest vermittelten die Ärzte uns diesmal ein positives Gefühl, dass sie bestens darauf vorbereitet sind. Mein Partner konnte leider nicht sofort von der Arbeit weg, aber das wusste Niklas anscheinend und wartete, bis er den Kreissaal betrat. Meine Hebamme las mir alle Wünsche von den Lippen ab und war so einfühlsam. Ich wusste gar nicht, dass eine stinknormale Cola soviel Wunder wirken kann.“
Karina: „Das Schönste an der Geburt, wo wir das erste Mal etwas aufatmen konnten, war, als Niklas geschrien hat. Das habe ich bei meinen vorherigen Geburten nie miterleben dürfen. Auch der Oberarzt sagte sofort, dass das ein sehr gutes Zeichen ist. Niklas wurde natürlich sofort auf der Neonatologie versorgt und untersucht, wir durften ihn nach einer Stunde das erste Mal sehen. Er atmete sogar alleine, unser kleines Wunder. Es war ein sehr bewegender und emotionaler Moment. Im Gegenzug holte uns unsere Vergangenheit wieder ein, das Piepsen der vielen Geräte und Monitore usw. – nur diesmal war alles viel vertrauter. Die erste Woche ist natürlich die Kritischste, aber eigentlich hofft man nur jeden Tag, wenn man die Türe von seinem Frühchen betritt, dass es ihm gut geht und die Nacht gut verlaufen ist. Ein Leben zwischen Angst und Ungewissheit. Die ersten Wochen durfte ich in einem Begleitzimmer im ELKI wohnen und danach pendelt mein Partner und ich täglich von zu Hause ins Krankenhaus.“
Das Team der Neonatologie wurde wie eine zweite Familie für uns und wir fühlten uns immer sehr gut aufgehoben. Was den ganzen Aufenthalt erschwerte war natürlich Corona und die ständige Testerei, aber auch dies nimmt man im Kauf, solange sein Kind leben darf. Und um ehrlich zu sein, während dieser Zeit funktioniert man nur. Man hat kaum Kontakt zur Außenwelt und ist nur froh, wenn man täglich mit seinem Kind kuscheln und es sehen darf.
Karina aus St. Kanzian im VK24 Interview
Nach 97 Tagen im Krankenhaus ging es ab nach Hause
Am 7. April 2022, genau 11. Tage vor seinem errechneten Geburtstermin, wurde Niklas nach Hause entlassen. Die ständigen gesundheitlichen Aufs und Abs von Niklas erfordern sehr viel Kraft aber jeder einzelne Mini-Fortschritt gab den Eltern Mut, Hoffnung und Zuversicht.
„Zunächst konnten wir es kaum erwarten ihn endlich mit nach Hause zu nehmen, denn er war schon so lange auf der Welt und noch niemand von unserer Familie oder Freunden kannte ihn persönlich oder konnte ihm in den Armen halten. Aber natürlich hatten wir vor der kommenden Zeit großen Respekt, denn nicht nur unseren Sohn haben wir mit nach Hause bekommen, sondern auch einen Überwachungsmonitor für die nächsten 10. Monate. Zuvor bekamen wir im ELKI natürlich eine Einschulung, wie wir im Notfall reagieren müssen. Puh… das war schon nicht so ohne. Der Monitor war zwar etwas unhandlich, weil man neben einem Kinderwagen, Maxi Cosi und Rucksack noch den Bildschirm mitnehmen und immer schauen musste, dass er aufgeladen ist, aber mit der Zeit entwickelt man so seine eigene Strategie. Im großen und ganzen war es sehr schön, nach langer Zeit wieder einmal zu Hause richtig anzukommen und einen „normalen“ Alltag aufnehmen zu können.“
Die Zeit zu Hause
„Viele in unserer Umgebung haben noch nie etwas mit einem extrem Frühchen zu tun gehabt, deswegen waren viele sehr verunsichert und vorsichtig. Unsere Familien und Freunde haben uns eine sehr schöne Herzlich Willkommen-Dekoration mit einem Storch zu Hause und einer leckeren Torte vorbereitet. Es fühlte sich zum ersten Mal so Real an. Wir haben ein Baby bekommen. Diese Situation rührte uns sehr und gleichzeitig war es so unvorstellbar, dass wir dies alles geschafft haben. Aber richtig zur Ruhe kommt man doch nicht, denn einmal in der Woche ging es anfangs zu den Entwicklungs- und Gedeihkontrollen, sowie zur Physiotherapie. Der Überwachungsmonitor hielt uns hie und da auf Trab, und manchmal auch den Atem an, denn das Gerät reagierte sehr sensibel. Wir konnten uns noch sehr genau an den ersten Alarm in der ersten Nacht zu Hause erinnern. Wir standen beide im Bett und niemand schlief mehr von uns. Außer Niklas, der hatte die Ruhe weg. Es dauerte, bis sich alles eingespielt hatte, aber zum Schluss waren mein Partner und ich schon wie eine Krankenschwester und ein eingespieltes (Dream-)Team.“
Niklas – ein vorbildliches Wunder
„Wir arbeiteten uns von Entwicklungskontrolle zur Entwicklungskontrolle und waren sehr froh, dass es bis auf Kleinigkeiten mit seinen Fortschritten immer gut bergauf ging. Die Ärzte sprachen immer wieder von einem vorbildlichen Wunder. Das waren die schönsten Worte, die man als Eltern nur hören konnte. Niklas ist von Hirnblutungen oder sonst jeglichen Beeinträchtigungen verschont geblieben. Ich glaube, während dieser ganzen Zeit habe ich noch nie so viel gebetet und gehofft, denn es hätte alles ganz anders kommen können. Ich bin aber sehr davon überzeugt, dass die wöchentliche Physiotherapie viel zur positiven Entwicklung von Niklas beigetragen hat. Seine Physiotherapeutinnen Carmen und später Michaela haben uns sehr gut begleitet und wertvolle Tipps gegeben, wie wir Niklas im Alltag unterstützen können. Niklas ist 1 Jahr und 9 Monate immer sehr gerne zur Therapie gegangen. Aufgrund seiner sehr guten altersentsprechenden motorischen Entwicklung wurde diese seitens des Krankenhauses beendet. Mit dem Sprechen fing er etwas verzögerter an, aber er hatte von Anfang an ein gutes Sprachverständnis und nun heißt es weiter die Welt entdecken und lernen. Er ist ein sehr freundlicher und aufgeschlossener Junge und bringt uns Eltern immer wieder zum Lachen und schmunzeln. Dadurch können wir unsere ganzen Sorgen, die wir bis jetzt erlebt haben, etwas auf die Seite packen, denn begleiten werden sie uns ein Leben lang. Nichts vergisst man, man lernt nur damit umzugehen.“
Ich möchte mich in diesem Zuge bei allen Wegbegleitern, besonders bei unseren Familien und Freunden bedanken, die uns in dieser schwierigen Zeit immer beiseite gestanden sind, uns liebe Nachrichten gesendet haben, für uns Frühchenkleidung besorgt haben, aufmunternde Geschenke geschickt haben, an uns gedacht haben und vor allem uns ständig Mut gemacht haben.
Karina
Eltern von Frühchen – Ihr seid nicht alleine!
Karina möchte uns abschließend noch ein neues Projekt vorstellen: „Und weil mir das Thema Frühchen ans Herz gewachsen ist und auch ich gerne für betroffene Eltern etwas Gutes tun würde – weil Reden sowie verstanden zu werden das Wertvollste in solchen Lebenssituationen ist – wollen ich und eine besonderen Kollegin, DGKP Verena Tscharf, IBCLC, ein Herzensprojekt ins Leben rufen: eine Anlaufstelle für Eltern von zu früh geborenen Kindern in Kärnten. Da das Thema „Frühchen“ mit der Entlassung nicht vorbei ist und die Herausforderung im sozialen Umfeld oft nicht ausreichend wahrgenommen werden, können sich Eltern bei diesen Treffen zu allen auftretenden Themen austauschen. Wir würden gerne ein Netzwerk in ganz Kärnten aufbauen. Begleitet werden diese Treffen von Pflegefachpersonen mit IBCLC Zusatzausbildung. Das Projekt startet über die Gesunde Gemeinde Völkermarkt in den Räumlichkeiten vom EKIZ- Völkermarkt. Unser Plan ist es, die Treffen auf weitere Standorte in ganz Kärnten zu erweitern. Das erstes Treffen findet am 4. Dezember 2023 von 9 -10:30Uhr statt und wir freuen uns schon sehr darauf.“
- Online: 16.11.2023 - 18:02