Es fühlte sich an wie das Ende der Welt
Vom Tauchgang zum Katastropheneinsatz: Ein Jahr danach
Heute vor genau einem Jahr, am 17. Juli 2023, überschattete ein Unwetter von noch nie dagewesener Wucht die Gemeinde St. Kanzian am Klopeiner See und deren umliegende Gemeinden. Ein schweres Unwetter mit so starken Sturmböen, dass sogar ganze Wälder entwurzelt und Dächer von Häusern und sogar einer Kirche abgedeckt wurden.
Wir konnten mit zwei Kameraden der örtlichen Feuerwehr sprechen, die an dem besagten Tag das herankommende Unwetter unter Wasser verbracht hatten. Es war ein typischer, sehr sonniger Sommertag im Juli, kein Zeichen deutete auf ein Unwetter hin. “Wir entschieden uns an diesem Tag für einen Tauchgang. Ich habe mich schon richtig auf die Abkühlung im Wasser gefreut“, erzählte ein Kamerad. Beide Feuerwehrmitglieder sind ebenfalls Einsatztaucher und nutzen die Nähe zum Klopeiner See für Übungstauchgänge. Ein dritter Kamerad begleitete die zwei Einsatztaucher und wartete beim Feuerwehrfahrzeug auf der Südseite des Klopeiner Sees, bis die Einsatztaucher den Tauchgang beendeten.
Nach rund einer Stunde beendeten wir den Tauchgang. “Es ist üblich, dass wir die letzten Minuten unter Wasser im sehr seichten Wasser verbringen. Als ich auf circa einem Meter Wassertiefe auf den Grund schaute, merkte ich, dass die abgefallenen Blätter, die am Seegrund lagen, sich extrem schnell hin und her bewegten. Sowas kenne ich eigentlich nur von Meerestauchgängen bei starkem Wellengang“, erzählte uns ein Taucher. “Ich blickte kurz aus dem Wasser und sah von Richtung Klagenfurt kommend eine riesige weiße Wand und ein starker Sturm kam auf. Ich zeigte meinem Tauchbuddy unter Wasser das Zeichen, dass wir auftauchen sollten. Ein paar Minuten später tauchten wir auf und konnten unseren Augen nicht trauen. Wir standen quasi mitten im Auge des Unwetters. Luftmatratzen flogen in der Luft umher und die Bäume am Ufer bogen sich bis zum Boden. Wir konnten kaum aus dem Wasser, weil der Wellengang so stark war. Wir sahen uns gegenseitig an und sagten: Lass uns schnell hier abhauen.“ Unser Kamerad beim Auto wartete schon verzweifelt auf uns. Wir fragten ihn, ob er am Funk schon etwas gehört hat. Gibt es schon Unwettereinsätze? „Die Feuerwehren werden im Sekundentakt alarmiert, gefühlt geht gerade die Welt unter.“ Wir entschieden uns, unser Tauchjacket schnell abzulegen und gleich ins Rüsthaus zu fahren. Dort wäre es sicherer, um uns umzuziehen.
Doch so weit kamen wir nicht. Weitere Einsatzmeldung: Verkehrsunfall, mehrere Bäume auf der Fahrbahn. Der Einsatzort befand sich genau auf unserem Weg zum Rüsthaus und wir waren in wenigen Minuten dort. Was uns erwartete, war unglaublich: Ein kleines Waldstück, direkt an der Straße, war komplett durch den Sturm „gerodet“ worden. Die Bäume, die auf die Fahrbahn gefallen waren, hatten ein Auto mit zwei Insassen getroffen. Sie konnten sich zum Glück befreien, aber das Auto war ein Totalschaden. Wir wollten die Rettung anrufen und informieren, dass es zwei Verletzte gab, aber keine Chance – der Notruf 144 und 122 war nicht erreichbar.
Wir konnten die verletzten Personen in ein nahegelegenes Haus bringen, und die Hausbesitzer boten ihre Hilfe an. Wir befanden uns zu dem Zeitpunkt noch in unseren nassen, engen Tauchanzügen. Während wir versuchten, dem Chaos Herr zu werden, waren wir erschrocken, wie unachtsam zahlreiche Passanten waren. Wenige hatten verstanden, dass es keine gute Idee ist, genau an diesem Straßenteil vorbeizuspazieren oder mit dem E-Scooter vorbeizufahren. Ein junges Mädchen musste sogar unbedingt ein Foto mit ihrem Handy machen. Die wenigen Bäume, die noch standen, konnten noch umfallen und jemanden treffen.
Wir waren verwundert, dass unsere Kameraden nicht zu diesem Einsatz kamen. Im Nachhinein wussten wir, wieso: Selbst die Wege vom Rüsthaus waren versperrt. Sie mussten sich selbst erst den Weg freimachen.
Wir mussten zahlreiche Umwege fahren, um irgendwie zum Rüsthaus zu gelangen. “Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie lange es gedauert hat, bis wir beim Rüsthaus waren.” Aber viel Zeit blieb nicht, wir haben uns schnell unserer Tauchanzüge entledigt und fuhren mit der richtigen Ausrüstung weiter. Wir sollten in eine kleine Nachbarortschaft fahren. Mehrere Häuser waren abgedeckt, angeblich auch der Kirchturm. Mehr Infos waren uns nicht bekannt. Wir wussten schon durch den Weg zum Rüsthaus, wie wir am schnellsten dorthin kamen. Schon von weitem sahen wir die Kirche, nur ohne Kirchturm.
“Ich glaube, das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich richtig Angst bekam, was noch alles auf uns zukam. Ich tätigte noch einen Anruf bei meiner Familie, die im selben Ort lebte. Gott sei Dank konnte ich schon vorher in Erfahrung bringen, dass alles in Ordnung ist. Am nächsten Tag habe ich gesehen, dass das Dach meines Nachbarn komplett vom Sturm abgehoben wurde.”
Wir versuchten, den Verbindungsweg von der Kirche zum Rüsthaus wieder freizumachen. Neben einem weiteren Dach, das abgedeckt wurde und auf der Straße lag, war der komplette Weg von Bäumen versperrt. Bis 2 Uhr in der Nacht haben wir mit mehreren Feuerwehren und unterstützenden Firmen mit Baggern versucht, den Weg freizubekommen. Keine Chance, es dauerte mehrere Tage, bis der Weg wieder frei war.
Wie es in den nächsten Tagen weiterging, war unglaublich. Zahlreiche Feuerwehren aus mehreren Bezirken kamen zur Unterstützung. Einige unserer Kameraden haben über 24 Stunden ohne Schlaf und unentgeltlich Einsätze abgewickelt. Sogar unser eigenes Rüsthaus wurde schwer beschädigt. Provisorisch haben wir trotzdem über mehrere Tage alle Einsätze von dort aus koordiniert und erledigt.
“Ich hoffe, dass wir so ein Ereignis so schnell nicht mehr erleben.” Darüber sind sich beide Feuerwehrleute, die damals ihren gemütlichen Tauchgang machen wollten, einig.
- Online: 17.07.2024 - 18:54
- Edit: 17.07.2024 - 13:59